Allgemeine Übersicht über die taktische Medizin

Jährlich gibt es in Deutschland tausende Verletzte und um die 70 Tote durch Schussverletzungen (Ohne Suizide/Suizidversuche). Oftmals geschehen diese Verletzungen in abgelegenen Gebieten (z.B. bei Jagdunfällen) oder in den letzten Jahren auch leider immer öfter in Situationen, bei denen medizinische Hilfe nicht umgehend zur Verfügung steht da die Lage erst durch Einsatzkräfte der Polizei gesichert werden muss (bewaffnete Auseinandersetzungen von Kriminellen/Terrorlage). Aber selbst bei Schussverletzungen zu Hause oder im Schiesskeller kann der Verwundete bis zum Eintreffen der Rettungskräfte innert Minuten verbluten.

Die Ursachen von Unfällen mit Schusswaffen sind vor allem die falsche Waffenhandhabung und Abpraller auf dem Schiesstand. Interessanterweise zeigt sich in Untersuchungen, dass Unfälle mehrheitlich bei erfahrenen Schützen passieren, die vermutlich durch die langjährige Routine unachtsam werden.

Angelehnt an die Prinzipien der taktischen Erste Hilfe (Tactical Combat Casualty Care) geben wir im folgenden Text einen Überblick über paar einfache Guidelines. Diese wurden für den Einsatz in Kampfgebieten erstellt, sind (mit einigen Abstrichen) aber auch für eine Versorgung bei allen schweren Verwundungen geeignet. Die Anwendung dieser Empfehlungen ist ausgebildeten Fachleuten vorbehalten und der Text nur als allgemeine Übersicht über das Thema gedacht.

Erster Schritt: Überblick über die Situation erhalten

Als Erstes gilt es, die Situation einzuschätzen, ob noch ein Risiko für weitere Verletzte (insbesondere auch für die Retter) besteht. So sollten z.B. bei Schiess- und Jagdunfällen die Waffen entladen werden. Bei Autounfällen sollte die Unfallstelle auf der Strasse gegen unachtsame Autofahrer mit einem Fahrzeug geschützt werden und bei Stromunfällen der Strom abgestellt werden (Sicherung usw.). Da es sich ja um eine taktische Guideline handelt, sei hier der Hinweis gestattet sein, dass in Kampfgebieten der Feind zunächst bekämpft werden soll, bevor eine umfassende Versorgung der Verwundeten stattfinden kann. So früh wie möglich sollte ein Rettungsdienst herbeigerufen werden. Dabei sind folgende Informationen wichtig: „WO“ ist der Unfall; „WAS“ ist passiert; „WIEVIELE“ Personen sind verletzt und ob es noch Risiken gibt (Strom, Feindkräfte usw.). Anschliessend warten, ob es Rückfragen gibt.

Nun wird der Verwundete versorgt.

„c“ – ein kleines c stellt bei den Guidelines den Unterschied zur Versorgung von Verletzungen gegenüber Erkrankungen dar.

Als erstes schaut man nach „schweren“ Blutungen die ein Verbluten des Patienten verursachen können (überwiegend arterielle Blutungen). Es gibt keine einfache Definition von „schwerer“ Blutung. Der Einfachheit halber: Es handelt sich um eine schwere Blutung, wenn sich die Kleidung des Verwundeten mit Blut vollsaugt und unter ihm eine Blutplache entsteht. Oft ist es leider schwierig, die Situation richtig einzuschätzen, da z.B. eine Blutung auf einem Fliesenboden schnell dramatisch aussieht, während eine Blutung auf Sand oft keine grösseren Spuren hinterlässt. Daher im Zweifel von einer schweren Blutung ausgehen und eher zu viel als zu wenig veranlassen.

Schwere Blutungen müssen schnellstmöglich gestoppt werden, da z.B. eine Blutung aus einer zerfetzten Oberschenkelarterie innert 3-4 Minuten zum Tode führen kann. Als erstes und einfachstes Mittel eignet sich prinzipiell das Abdrücken der Arterie. Allerdings ist es für den Laien schwierig, die richtige Lokalisation der Arterie zu finden und anschliessend dauerhaft einen adäquaten Druck auszuüben (Erinnern Sie sich noch an den Ersthelferkurs vom Führerschein?). Daher als Alternative: Direkter Druck auf die Wunde z.B. mit dem Knie oder dem Ellenbogen. Anschliessend je nach Lokalisation und Ausmass der Blutung Anlegen eines Druckverbands, oder, bei entsprechendem Ausbildungsstand, gleich ein Tourniquet (ein spezieller Druckverband, der für das Militär entwickelt wurde). Wenn die Blutung steht, kann der Verwundete in eine geschütztere Umgebung verlegt werden, bzw. man kann sich um die weiteren Versorgungsschritte kümmern.

A“ und „B“

Immer wieder überprüfen, ob die Blutung steht. Als nächstes die Atemwege kontrollieren (hat der Verwundete Erbrochenes oder Nahrungsreste im Mundraum?) Bei Patienten, die bei Bewusstsein sind, genügt ein Öffnen des Mundes und eine Inspektion. Ansonsten Mund manuell öffnen und hineinschauen. Falls vorhanden und die Technik geübt wurde, Einlegen eines Wendl-Tubus in die Nase zum Freihalten der Atemwege. Gleichzeitig sollte die Atmung des Patienten kontrolliert werden (auch bei Verwundeten, die bei Bewusstsein sind). Schnell und einfach ist das Auflegen der Hand auf den Brustkorb und gleichzeitig nah an den Mund/Nase des Verwundeten herangehen um die Atemgeräusche zu hören. Wenn die Atmung nicht normal ist, muss nach der Ursache gesucht werden. Gibt es evtl. eine Schussverletzung am Brustkorb? Dann diese (und die evtl. vorhandene Austrittswunde) mit einem Verband (optimal wäre ein ChestSeal oder z.b. irgendeine Folie) abdecken. Nach Kontrolle der Atemwege und der Atmung sollte der Patient in die stabile Seitenlage gebracht werden. Wenn sich die Atmung im weiteren Verlauf verschlechtern sollte, kann es unter Umständen helfen, den Verband kurz zu „Lüften“ und dann wieder anzukleben, da sich ein sogenannter Spannungspneumothorax entwickelt haben könnte.

„C“

Nun folgt eine Beurteilung des Kreislaufs. Dazu alle Pulse tasten (Hals, Handgelenk, Leiste, Füsse) und anschliessend den gesamten Körper mit den Händen (optimalerweise mit Handschuhen) abstreifen und nach weiteren Blutungen suchen (im ersten Schritt haben wir nur nach den „schweren“ Blutungen gesucht.) Dabei immer bedenken, dass Einschusswunden teilweise sehr klein sind und bei einer oberflächlichen Sichtung übersehen werden können, wenn es keine Austrittswunde (die üblicherweise deutlich grösser ist) gibt. Hierbei sollen der Genitalbereich und der Anus sowie die Füsse nicht vergessen werden. Um ein Auskühlen des Patienten zu vermeiden, kann mit einer Schere die Kleidung des Verletzten gefenstert werden um alle Körperpartien zu erreichen. Die Kleidung soll anschliessend möglichst wieder verschlossen werden (z.B. durch Gewebeklebeband). Falls weitere Blutungen gefunden werden entsprechend versorgen (Pflaster, Druckverband, Hämostaseprodukte wie z.B. CELOX® oder QuikClot® oder ein weiterer Tourniquet).

 „D“

Als Nächstes folgt nun eine grobe neurologische Untersuchung, die aber hier den Fachleuten überlassen werden sollte und bei denen es vor allem um die Einschätzung der Dringlichkeit des Abtransports geht. Im Anhang ist diese kurz aufgeführt

„E“

Wenn alle vorherigen Massnahmen erfolgt sind, alle Blutungen stehen (immer wieder kontrollieren), soll der Verletzte möglichst warmgehalten werden. Als grobes Mass dient z.B., wenn es dem Behandler angenehm warm ist, ist es für den Verletzten NOCH ZU KALT! Der Wärmeerhalt ist essentiell, da sich die Blutgerinnung durch Absinken der Temperatur verschlechtert. Also möglichst den Patienten in eine Wärmedecke einpacken und bis zum Eintreffen im Krankenhaus warmhalten.

„MedEvac“

Der Rettungsdienst sollte in Deutschland, bzw. in Europa schnell vor Ort sein. Während der Wartezeit immer wieder die Schemata ABCDE durchgehen. Steht die Blutung still? Sind die Atemwege weiterhin frei oder hat der Patient zwischenzeitlich erbrochen? Ist die Atmung normal? Sind die Pulse vorhanden?

Sämtliche genannten Guidelines sind nur für ausgebildete Einsatzkräfte (Rettungsdienst, Feuerwehr, Combat Medics usw.). Bei allen Massnahmen können bei falscher Anwendung Schäden am Patienten entstehen. Allerdings muss man ganz klar sagen, dass mehr Menschen durch Unterlassen sterben, als durch falsche Massnahmen.

Anhang: Guideline in der Übersicht

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Autor: RescueUnderFire, Dr. med. Philip Hebel (Info@RescueUnderFire)